Die Musik Johann Sebastian Bachs überschreitet mit ihrer Kraft und Schönheit immer wieder soziale und musikalische Grenzen. Sie weckt tiefe Bewunderung und starke Gefühle. Trotzdem gehen in vielen Ländern die Hörerzahlen von Bachs Musik und klassischer Musik im allgemeinen kontinuierlich zurück.
Im Jahr 2010 begann Dale Henderson, in der New Yorker Metro regelmäßig Bachs Cellosuiten zu spielen. Er war überzeugt davon, dass die sinkenden Zuhörerzahlen für klassische Musik daraus resultierten, dass viele Menschen klassische Musik niemals live und aus der Nähe hören können, und dass Bach der perfekte Botschafter für diese Kunstform sei. Dale ahnte, dass das Erlebnis umso gewaltiger sein würde, wenn Geld dabei keine Rolle spielte. Aus diesem Grund nahm er keine Spenden an. Stattdessen legte er dem Publikum auf kostenlosen Postkarten seine Absicht dar, mit der Aufführung den Grundstein für künftige Generationen von Klassik-Liebhabern zu legen. Sein Projekt, das er »Bach in the Subways« nannte, zog die Aufmerksamkeit und Bewunderung von Fans, anderen Musikern und den Medien auf sich.
Zur Feier von Bachs 326. Geburtstag am 21. März 2011 lud Henderson andere Musiker zum Mitmachen ein. Zwei Cellisten antworteten und spielten den ganzen Tag über in zahlreichen New Yorker U-Bahnstationen für die Passagiere Bach. Dies war der Beginn der »Bach in the Subways«-Bewegung. Im nächsten Jahr beteiligten sich in New York 13 Musiker, und 2013 waren es 40 Musiker in New York und drei anderen US-amerikanischen Städten; auch Montreal war dabei. An Bachs 329. Geburtstag im Jahr 2014 schenkten 77 Musiker in acht US-amerikanischen Städten sowie in Städten in Kanada, Deutschland und Taiwan ihre Bach-Musik der Welt.
Im darauffolgenden Jahr verbreitete »Bach in the Subways« sich wie ein Feuer um die ganze Welt. Der Funke aus Hendersons Initiative sprang überall auf Gleichgesinnte über, und an Bachs 330. Geburtstag im Jahr 2015 spielten tausende Musiker in 150 Städten in 40 Ländern Bachs Musik kostenlos und öffentlich in U-Bahnstationen, in Bahnhöfen, in fahrenden Zügen, an Straßenecken, in Cafés, in Einkaufspassagen, in Restaurants, in Zoos und in Konzertsälen. 2016 wurde Bach in the Subways auf mehrere Tage ausgedehnt, damit Musiker auch während des Wochenendes würden teilnehmen können. Jedes Jahr tun sich nunmehr Musiker aus aller Welt zu Bachs Geburtstag zusammen, um seine wundervolle Musik mit zahllosen Menschen zu teilen.
Im Grunde genommen ist »Bach in the Subways« eine Einladung. Es ist eine Einladung an die Musiker, mit ihren Hörern eine ungewöhnlich klare und offene Beziehung einzugehen. Es ist eine Einladung an die Zuhörer – besonders an die Vielzahl derer, die sonst nie mit live gespielter klassischer Musik in Berührung kommen –, den Zauber einer Kunst zu entdecken, die sich abseits vom Mainstream befindet, aber aus Gründen, die nichts mit der reinen Erfahrung von Künstler und Publikum zu tun haben.